Amateuer

Uwe Peschel

Wenn Uwe Peschel eine Liste mit den schönsten Erinnerungen seiner Radsportkarriere aufschreiben müsste, dürfte der 26. Juli 1992 mit Sicherheit nicht fehlen. An diesem Tag wurde Uwe zusammen mit Michael Rich, Bernd Dittert und Christian Meyer in Barcelona beim Straßenvierer über 100 Kilometer Olympiasieger.

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Ein Erfolg, der Jahre zuvor noch mehr als ein Traum für ihn war. Denn die Radsportkarriere von Uwe schien schon beendet, bevor sie eigentlich begonnen hat. „Zu spät dran und zu alt“, lautete das knappe Urteil der ehemaligen DDR-Funktionäre, als der damals 17-Jährige mit dem professionellen Rennradfahren beginnen wollte. Dass es doch noch klappte mit einer Sportlerkarriere, hat Uwe seinem Vater Axel zu verdanken. Denn der Friedensfahrtsieger von 1968 hatte durch seine eigenen Radsporterfolge einen guten Namen in der DDR. Er überzeugte schließlich die Funktionäre und brachte Uwe zuerst beim SC Berlin unter. Dem Verein, der von Axel Peschel zu dieser Zeit trainiert wurde. Uwe war nun also offiziell als Staatsamateur anerkannt. Damit war der Weg frei für seine überaus erfolgreiche Radsportkarriere.
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Die besondere Begabung von Uwe kristallisierte sich schließlich auf der Zeitfahrstrecke Forst bei Cottbus heraus. Auf der Betonplattenpiste flitzte er seinen Mannschaftskameraden regelmäßig davon. Schnell war klar: Uwe konnte ein hohes Tempo auf eine lange Distanz treten. Er war prädestiniert für das Zeitfahren. Diese Disziplin ist dabei eine Kunst für sich. Die Fahrer kommen während ihres Kampfs gegen die Uhr an ihre körperlichen Belastungsgrenzen. „Mein Puls war beim Straßenvierer beispielsweise zwei Stunden lang über 180 Schlägen pro Minute“, erzählt Uwe. Getrunken wurde während dieser Zeit nichts. „Das würde beim Zeitfahren nur stören.“ Da beim Straßenvierer immer drei Zeitfahrer ins Ziel kommen müssen, um gewertet zu werden, konnte lediglich ein Fahrer während des Rennens abreißen lassen. 

 „Viele haben deshalb aus Angst davor, als dritter übrig zu bleiben, bereits früh abreißen lassen“, sagt Uwe. Allerdings hatte er nie dieses Problem. „Ich war einer der Stärksten und konnte immer durchfahren.“ Deshalb wechselte er 1990 nach Erfurt, weil er dort bessere Trainingsbedingungen für das Zeitfahren im Straßenvierer vorfand. „Für meine sportliche Entwicklung war das der richtige Schritt“, erzählt Uwe. Denn bereits im gleichen Jahr fuhr er mit zur Weltmeisterschaft nach Japan.

„Es war heiß und feucht damals und es war meine erste Reise in ein exotisches Land“, erinnert sich Uwe. Trotzdem fühlte er sich pudelwohl. „Ich bin beim Rennen alleine fast schneller gewesen als die anderen“, sagt er und lacht. „Ich hatte einfach einen super Tag erwischt.“ Uwe führte den Straßenvierer der DDR schließlich zum Titel des Vize-Weltmeisters, noch vor dem damaligen westdeutschen Team. Es war Uwes erster richtig großer Erfolg als Amateur-Radrennfahrer. Wobei Uwe noch heute die Heimfahrt ins Hotel als die eigentlich famose Leistung an diesem Tag ansieht.

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„Alles begann bei der Dopingprobe“, erinnert er sich. „Beim Zeitfahren fährt man zwei Stunden im roten Bereich, ohne etwas zu trinken.“ Die Folge: Der Körper ist nach einer solchen Anstrengung völlig ausgelaugt. Die Flüssigkeit nimmt er dankbar auf. Aber trotzdem kann es Stunden dauern, bis bei der Dopingprobe ein paar Tropfen Urin herauskommen. 

Michael Rich, vom westdeutschen Vierer, und Uwe hatten nach dem Wettkampf dasselbe Problem. Sie warteten endlich darauf pinkeln zu können und tranken nebenbei. Da es einen zweiten und dritten Platz zu feiern gab, versuchten beide die Urinprobe mit Bier zu beschleunigen. „Nach einem Bier war ich fast schon betrunken“, erzählt Uwe. Aber trotzdem konnte keiner von Beiden auf die Toilette. Nach zwei weiteren Flaschen Bier klappte es schließlich doch. Aber Uwe musste danach noch zurück ins Hotel kommen. Seine Mannschaftskameraden waren bereits vorausgefahren. Er war alleine unterwegs. „Ich setzte mich betrunken aufs Rad. Es war allerdings Linksverkehr, das Hotel zehn Kilometer entfernt und ich wusste den Weg nicht mehr richtig.“ 

So recht kann er sich bis heute nicht mehr daran erinnern, wie er nach Hause kam. Aber irgendwann stand er doch noch vor dem Hotel. „Danach ging es mir richtig schlecht. Aber das lag wohl am Bier.“

Die Dopingprobe hatte noch ein anderes, einschneidendes Erlebnis: Mit Michael Rich lernte Uwe nicht nur einen späteren Freund, sondern auch einen seiner größten Zeitfahr-Konkurrenten kennen. „Außerdem bin ich mit dem damaligen Bundestrainer Peter Weibel ins Gespräch gekommen. Er hat bei der Dopingprobe mitbekommen, dass ich es war, der den Straßenvierer der DDR so schnell gemacht und damit dem westdeutschen Vierer den zweiten Platz gekostet hat.“ Kurze Zeit nach der Weltmeisterschaft wurden die beiden Straßenvierer vereint und Uwe machte dann dem Gesamtdeutschen Vierer unter der Leitung jenes Peter Weibels richtig Dampf.

So auch 1992 bei den olympischen Spielen in Barcelona. „Da hat einfach alles gepasst“, erinnert sich Uwe. Bereits die dreiwöchige Vorbereitung im Höhentrainingslager von Colorado Springs lief perfekt. „Das hat uns auch als Team zusammengeschweißt“, sagt Uwe. Trotzdem war der Sieg keine Selbstverständlichkeit. Denn ein Jahr zuvor wurde der Straßenvierer bei der Weltmeisterschaft in Stuttgart zwar Zweiter, doch das Medienecho war vernichtend. „Die Presse hat uns damals rund gemacht. „Ihr sollt das Beste aus DDR und BRD sein?“ wurde beispielsweise gespottet.“ Auch 1992 war der italienische Straßenvierer bei Olympia wieder der Favorit. Doch diesmal schlug das deutsche Team zurück und gewann das 100-Kilometer-Zeitfahren mit einer Minute Vorsprung. Dabei sah es nach 25 Kilometer nach einem Favoritensieg aus. 

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Die Italiener lagen nach einem Viertel der Distanz mit einigen Sekunden Vorsprung in Front. Doch nach rund 50 Kilometern erhöhte der Deutschland-Vierer die Schlagzahl und drehte richtig auf. Mit einem Schnitt von über 50 Stundenkilometern flogen die Zeitfahrspezialisten schließlich förmlich über die Ziellinie.

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„Der Sieg war schon eine Überraschung“, freut sich Uwe noch heute. Und so gingen Michael Rich, Bernd Dittert, Christian Meyer und Uwe Peschel als erste gesamtdeutsche Olympiasieger in die Geschichtsbücher ein. Denn der Straßenvierer war die erste Entscheidung dieser olympischen Spiele. „Danach konnten wir auch das Leben genießen. Zusammenfassend gesagt: Barcelona war ein Traum“, schwärmt Uwe. Denn als Olympiasieger waren die Vier gern gesehene Gäste, bei anderen Sportlern, aber auch bei Funktionären, Prominenten und Politikern. Nach diesem grandiosen Erfolg hätten nun viele den Sprung ins Profilager gewagt. 

 

Aber diese Frage hatte sich für Uwe damals noch nicht gestellt. „Mir ging es trotzdem gut. Deshalb war der Gedanke daran, Profi zu werden kein Thema.“ Außerdem sei damals die Zeit dafür auch nicht reif gewesen. „Deutschland war vor Jan Ullrich quasi nicht existent im Profiradsport“, sagt Uwe. Deshalb ergänzte er seine lange Erfolgsliste noch um ein paar Siege. Zwei Jahre lang war Uwe weltbester Amateur und gewann 19XX und 19XX die Weltcup-Gesamtwertung.

1993 wechselte Uwe schließlich nach Öschelbronn und traf dort auf Hans-Michael Holczer, der das Amateurteam bereits zu dieser Zeit erfolgreich führte. „Das war dann für mich nochmals eine schicksalhafte Entwicklung“, sagt Uwe. Denn mit diesem Wechsel bekam seine Radsportkarriere neuen Schwung. „Alles war sehr familiär. Aber wir hatten einen großen Sponsor und mit diesem ging es ab“, erinnert sich Uwe. Und mit Hans-Michael Holczer stand an der Spitze ein gewiefter Taktiker und Manager. Er formte schließlich 1997 das Profiteam Gerolsteiner.